Es ist in den letzten Wochen bei öffentlichen Auftritten des Finanzministers immer dasselbe: es geht um thematisch um Bürokratieabbau. Alle sind dafür. Und dann eifert Christian Lindner gegen das deutsche und das gerade in der letzten Beratungsphase befindliche europäische Lieferkettengesetz. Für ihn Paradebeispiele für unsinnige bürokratische, kostspielige Vorgänge.

Inhaltlich wird die Debatte nie: es geht ja „nur“ um Bürokratieabbau. Also: weg mit dem Lieferkettengesetz?

Stopp! Um was ging und geht es beim Lieferkettengesetz? Um menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Einhaltung von Arbeitsschutz, Abwehr von Kinderarbeit, faire Löhne. Es geht darum, dass unser Wohlstand nicht zu Lasten der Erzeugerinnen und Erzeuger im globalen Süden entsteht, sondern durch Kooperation unter fairen Bedingungen. Das muss kontrolliert werden. Von allein gelingt es nicht. Alle Maßnahmen zu freiwilliger Selbstverpflichtung sind seit Jahren fehlgeschlagen.

Und nun? Das deutsche Lieferkettengesetz betrifft nur Firmen mit mindestens 3000 Mitarbeitenden. In Europa wird die Zahl 500 vorgeschlagen. Wie gut! Aber es bringt die Unternehmerverbände in Rage. Sie behaupten, das wäre nicht zu bewältigen. Das Gegenteil ist der Fall. Viele deutsche Firmen sind längst dabei, haben gute Erfahrungen mit dem Lieferkettengesetz gemacht. Sie erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich für ein europäisches Lieferkettengesetz einsetzt. Denn dann gälten dieselben Bedingungen für alle in Europa und unlautere Konkurrenz wäre unterbunden. Die Firmen Ritter Sport, Tchibo, C&A und viele Autohersteller haben die Vorteile längst erkannt. Sie haben ihre Produktionsweisen und -wege umgestellt und fordern verlässliche Rahmenbedingungen. Sie sind bereit, ihre Erfahrungen im Qualitätsmanagement zu teilen und setzen schon KI ein, um kostengünstig vorzugehen.

Schlimm wäre es, wenn sich Deutschland bei der Abstimmung zum europäischen Lieferkettengesetz der Stimme enthielte, weil die FDP blockiert, was CSU-Minister Gerd Müller und SPD-Minister Hubertus Heil vor wenigen Jahren nach langem Kampf vorangebracht haben. So wie die Machtverhältnisse in Europa sind, würde wahrscheinlich alles zurückgedreht werden. Die große Chance wäre vertan, den Menschen im Globalen Süden auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.

Wenn Christian Lindner Bürokratieabbau fordert, dann sollte man genau darauf hören, als was er spricht: als Minister zum Wohl und Ansehen unseres Landes oder als Verbandslobbyist, der zukunftsweisende Veränderungen abwehrt – zum nachhaltigen Schaden unserer Wirtschaft.

Johannes Haun