„Wir leben ökologisch, ökonomisch und psychologisch über unseren Verhältnissen“ sagt Niko Paech. Der Wirtschaftswissenschaftler verweist darauf, dass beispielsweise trotz unseres Wohlstands in Mitteleuropa die Lebensqualität deutlich gesunken sei und Anit-Deppressiva den entstandenen Schaden häufig ausgleichen müssten. Der Professor für Plurale Ökonomie an der Universität Siegen war kürzlich auf Einladung des Weltladen Trägervereins Partnerschaft eine Welt Freising und des Fairen Forums in den Freisinger Lindenkeller gekommen. Er stellt dem Publikum seine Theorie zur Postwachstumsökonomie vor – aber nicht weltfremd und überladen mit Fremdwörtern, sondern praxisnah, verständlich und mit Sätzen, die hängen bleiben.

 

Sein Ansatz: Die Wirtschaft solle nicht wachsen, sondern kleiner werden. Dazu passt es, dass er weniger Arbeitszeit fordert. Dies erhöhe die Lebensqualität. Er selbst arbeite nur 20 Stunden die Woche, wie er erzählt. Natürlich habe man dann auch weniger Geld zur Verfügung. Aber durch geringeren Konsum, die Möglichkeit viel nicht selber anschaffen zu müssen sondern teilen zu können und Dinge wieder zu reparieren statt wegzuwerfen und etwas Neues zu kaufen, würde man auch erheblich sparen.

 

Das aktuelle Wirtschaftsystem sei ein fragiles Konstrukt, das schnell zusammenbreche, wenn ein Teil ausfalle – wie man in der Corona Pandemie hätte sehen können: Die „Schönwetterökonomie“, wie er sie nennt, laufe nur, wenn an allen Eckpunkten des weltweiten Netzes alles wie geplant funktioniere. Da wäre es krisenfester, so viel wie möglich in der Region machen zu können: „Stell dir vor, es ist Krise – und du merkst es nicht.“

 

Das neueste Buch, das Niko Paech zusammen mit Manfred Folkers geschrieben hat, trägt den Titel „All you need is less“. Dieser Titel lässt es schon vermuten: Paech appelliert, das Leben zu „entrümpeln“. Statt immer mehr zu kaufen, sinnfreie Dinge zu konsumieren, die irgendwann dann doch nur die Wohnung füllen und nicht glücklich machen, solle man eher dafür sorgen, dass man mehr freie Zeit habe und Dinge kauft, die man selbst reparieren kann oder die wenigstens von Leuten in der Region repariert werden können. Dadurch brauche man schon mal weniger Geld, es entstehe weniger Müll und es würden weniger Ressourcen verbraucht. Auch plädiert er dafür, Dinge, die man nicht täglich braucht, mit anderen zu teilen. So wäre beispielsweise ein Lastenfahrradverleih in der Region sinnvoll: „Dann ist es mir egal, ob der Erdölpreis steigt.“ Und er betont: „Durch Wohlstand sind wir unfrei geworden“, denn: Wer einen gewissen Lebensstandard erreicht habe, wolle diesen nicht wieder verlieren – und viele gingen dafür über ihre Grenzen hinaus, Folge: Burnout. Mehr zu haben bedeute eben nicht, glücklicher zu sein.

 

Ein weiterer Baustein in seiner Theorie der Postwachstumsökonomie ist, junge Leute zu motivieren, in der Landwirtschaft und im Handwerk zu arbeiten und „aus dem Akademisierungswahn rauszukommen“. Hier schließt sich der Kreis: Wenn das Know-how in der Region vorhanden ist, etwas herzustellen und es auch zu reparieren, muss nicht sofort ein neuer (Wegwerf-)Artikel erworben werden. „Wir sind Marionetten der Industrie geworden – wir haben verlernt, Dinge selbst zu machen.“ Das sollte sich seiner Meinung nach dringend ändern.

 

Voraussetzung dafür sei aber natürlich, dass überall, auch im Handwerk und in der Landwirtschaft, faire Löhne gezahlt werden und die Arbeitszeit verkürzt wird. In der Landwirtschaft müsse zudem „konsequent ökologisch und artgerecht“ gearbeitet werden.

 

Der Lerneffekt der Corona-Pandemie sei in der Politik noch nicht so groß: Mit der „Brechstange“ wollte sie die „alte Normalität“ wieder herstellen. Aber dies sei gar nicht erstrebenswert, so Paech. Für ihn sei dies „eine doppelte Konkursverschleppung“ – ökologisch wie ökonomisch.

 

Was man selbst tun könne, um diese Ziele im Alltag zu unterstützenm wird in der Fragerunde nachgehakt?

Apelle werden nichts nützen, Einsichten alleine auch nicht, sagt er. Paech plädierte für Widerstandsnester, Realitätslabore, Genossenschaften, Sich-Vernetzen von Gleichgesinnten – von den Leuten im Repair-Café bis zu jenen in der Solidarischen Landwirtschaft. „Wandel funktioniert nie allein.“ Man müsse es vorleben, immer mal wieder deutlich widersprechen ,wenn etwas falsch läuft: „Jeder Mensch hat die Möglichkeit, Stachel im Fleisch zu sein.“ Er stehe mit beiden Beinen auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaates, sagt Paech, aber wir müssten wieder lernen „nein“ zu sagen, ohne Gewalt. Das ginge durchaus ohne gesellschaftlich „aussätzig“ zu wirken. „Wenn das ausreichend viele tun, entsteht eine Avantgarde.“

Von der Politik erhofft sich Niko Paech keine Hilfe: „Politik kann nicht gegen Mehrheitsmeinungen vorgehen und kann es sich auch nicht mit der Mittel- und Oberschicht verscherzen.“ Er baut auf eine größer werdende Gruppe von Vorreitern, die gemeinsam an einer kleiner werdenden Wirtschaft  arbeiten. Und auch das Konzept des Buen Vivir dürfte gut zur Postwachstumsökonomie passen:

Ein Verfechter des Buen Vivir war live aus Quito zugeschaltet: Alberto Acosta Espinosa. Das Publikum brauchte keinen Übersetzer: Acosta hat knapp zehn Jahre in Deutschland gelebt und studiert und war außerdem Vizekonsul an der ecuadoriansichen Botschaft in Bonn. Auch der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Intellektuelle zweifelt an, dass die Mächtigen aus der Corona Pandemie die richtigen Lehren gezogen hätten: „Mehr denn je muss man von untern anfangen – solange die Mächtigen es nicht verstanden haben“. Die Pandemie sei eine Tragödie. Er frage sich aber doch, warum wir uns nicht gleich stark über die acht Millionen Toten aufregen, die jährlich an Luft- und Wasserverschmutzung sterben oder die rund 26 000, die täglich verhungern. Und statt aus der aktuellen Krise zu lernen, gehe die Plünderung der Natur und die Ausbeutung der Menschen weiter.

„Es gibt reiche Leute in Teilen der Welt, weil viele Menschen in anderen Teilen in Armut leben müssen – reiche Menschen haben ein höheres Lebensniveau durch Ausbeutung von Mensch und Natur.“ Und selbst viele Opfer hätten nicht die richtigen Lehren aus der Krise gezogen, sagt Acosta – „sie sehnen sich nach Normalität – aber Normalität ist das Problem!“

 

Es gebe „keinen Masterplan für ein Buen Vivir“. Über Länder- und Religionsgrenzen hinweg gebe es verschiedene Möglichkeiten, das Buen Vivir zu leben. Man könne es mit gutem Zusammenleben oder gelungenes Leben übersetzen. Ziel des Konzepts: Ein nachhaltiges, solidarisches Wirtschaften, Entschleunigung, mehr Freude am Leben. Aber man müsse auch Verantwortung übernehmen für sein Handeln – etwa Mitmenschen und Natur gegenüber. Und er stellte klar, dass Buen Vivir nichts mit Dolce Vita zu tun habe. Während Dolce Vita nur gutes Leben für eine Minderheit bedeute, strebe Buen Vivir dies für alle Menschen an. Zum Buen Vivir gehöre ein starker Gemeinschaftssinn unter den Menschen sowie eine intensive, harmonische Verbundenheit mit der Natur „wir sind Teil davon – nicht die Herrscher.“

 

Einzig zum Thema Digitalisierung sind Niko Paech und Alberto Acosta nicht so ganz einer Meinung: Während Paech sie als „Brandbeschleuniger“ für viele Konsumkonflikte sieht, kann Acosta ihr durchaus auch etwas Gutes abgewinnen: Natürlich gehe mit ihr ein Kapitalvermehrungsdruck einher, siehe Amazon. Aber Errungenschaften wie Video-Telefonie brächten schon auch deutliche Vorteile mit sich.

 

Die Musik von Grupo Sal, mal Tango, mal Salsa oder Rumba, aber immer leidenschaftlich, ließ es in Diskussionspausen in den Beinen kribbeln – doch Tanzen war in diesen Zeiten von Corona keine Option. Fernando Dias Costa und Aníbal Civilotti übernahmen streckenweise die Moderation und erzählten zu ihren Stücken kurze Hintergrundgeschichten aus Lateinamerika, wie die von Marielle Franco, der sie ein Lied widmeten: Die brasilianische Abgeordnete und Aktivistin wurde auf offener Straße erschossen, weil sie mit ihrer Arbeitsgruppe korrupten Geschäften auf der Spur war.

Mit einem mexikanischen Schnaps (in einem Wohnzimmer in Quito) und einer roten Saftschorle (auf der Freisinger Bühne) wurde dann noch virtuell auf den gelungenen Abend angestoßen und man darf hoffen, dass viele Besucher*innen auch den einen oder anderen Denk-Anstoß mit nach Hause genommen haben.