Im Einsatz für Kinderrechte
Er ist keine imposante Erscheinung, der Mann, der am 9. Juli 2013 im Weltladen in Stuttgart Gablenberg von seiner Arbeit erzählt und wie er dazu gekommen ist, das zu tun, was er tut. Aber was er tut, das löst in den gespannt Lauschenden Hochachtung für den irischen Pater aus, der seit mehr als 40 Jahren auf den Philippinen Kinder aus sexueller Sklaverei und aus unmenschlichen Gefängnissen befreit.
Pater Shay Cullen lebt seit 1969 in Olongapo auf den Philippinen, rund 200 Kilometer von Manila entfernt. Dorthin wurde er von seinem Orden als Missionar berufen. Es gibt zwei amerikanische Militärbasen in der Nähe seiner Gemeinde. Dort hat für Shay Cullen alles begonnen: „Einmal war ich auf der Straße unterwegs. Ein Typ, der annahm, ich sei ein Tourist – ich trug Alltagskleidung – kam auf mich zu und sagte: „Hi Joe! Willst du ein Mädchen? Wie ist es mit kleinen Mädchen. Ich hab zwei davon hier.“ In einem Torweg standen zwei kleine, zwölfjährige Mädchen, die absolut schrecklich aussahen. Es war so schockierend! Ich bedrohte den Typ damit, die Polizei anzurufen. Er fing an zu lachen als wäre er selber die Polizei. Auf der Straße standen Polizeibeamte, die ebenfalls lachten. Sie machten damit Geschäfte, tausende Mädchen an US Marines zu verkaufen.“
Etwa zur gleichen Zeit entdeckt der Missionar bei einem Gefängnisbesuch zu seiner Überraschung viele Kinder, zum Teil nur neun oder zehn Jahre alt, zusammen mit erwachsenen Häftlingen in überfüllten Zellen. Ihm wird klar, dass seine Mission ab sofort nicht mehr in der klassischen Seelsorge und Kirchenarbeit bestehen wird, sondern darin, Menschen in schwierigen Situationen zu helfen. 1974 gründet er zusammen mit weiteren Engagierten die PREDA-Stiftung und beginnt, Straßenkinder, Kinder aus Gefängnissen und Kinder mit Problemen in der Familie aufzunehmen.
Heilung ist möglich
Olongapo, Sitz von PREDA, trägt in dieser Zeit den zweifelhaften Titel „Sodom und Gomorrha von Südostasien“. Wegen des Vietnamkrieges bauen die USA ihre Militärbasen auf den Philippinen aus. Jedes Jahr kommen mehr als drei Millionen Männer militärisches Personal an Land, was die Sex Industrie befeuert. Armut von dramatischen Ausmaßen treibt tausende von Kindern in die Arme von Pädophilen und Menschenhändlern.
Pater Cullen hat damals wie heute viele verstörenden Fälle erlebt, die ihn geradezu auffordern Straßenkinder zu retten, die in Sex Clubs ausgebeutet und von Zuhältern auf den Straßen für die Nacht an Kunden verschachert werden. Was ihn bis heute antreibt und motiviert ist, dass die Kinder es schaffen, ihre Erlebnisse und den Schmerz hinter sich zu lassen und trotz allem ein glückliches Leben zu leben. PREDA unterstützt sie darin mit Therapien und einer Schulausbildung. Einige ehemalige Kinderprostituierte haben studiert und arbeiten jetzt als Sozialarbeiterinnen bei PREDA. Sie wissen, was Neuankömmlinge durchgemacht haben.
Gerechtigkeit für Kinder
Ausgebeuteten und missbrauchten Mädchen zu helfen ist nicht PREDAs einzige Herausforderung. Seit 2004 hat die Organisation systematisch Jungen im Konflikt mit dem Gesetz befreit und resozialisiert. Das erste Kind, das PREDA aus dem Gefängnis befreite, war die sechsjährige Rosie. Pater Cullen erzählt nicht, unter welchen Umständen die Kleine in der Zelle gelandet ist, aber er zeigt ein Bild: Ein kleines zartes Mädchen, dunkle kurze Haare, große Augen, Nicht-Verstehen und Angst im Blick.
Es sind vor allem Jungs, die im Gefängnis landen und dort monatelang ohne Gerichtsverhandlung ausharren müssen. Straßenkinder, die den Händlern ein Dorn im Auge sind, ältere Jungen, die bei kleinen Diebstählen erwischt werden. Im Jahr 2000 waren etwa 20.000 Kinder inhaftiert. Die meisten von ihnen saßen zusammen mit Erwachsenen, in dreckigen Gefängnissen. PREDAs Fotografien zeigen Zellen, in denen etwa 10 Kinder und 40 bis 50 Erwachsene zusammen gepfercht sind. Misshandlung und sexueller Missbrauch waren an der Tagesordnung. PREDA hat durchgesetzt, dass Jungen nicht mehr mit Erwachsenen die Zelle teilen müssen. Ein Gesetz, das es verbietet Kinder unter 16 Jahren ins Gefängnis zu sperren, geht wesentlich auf das Engagement von Pater Shay Cullen und seinen Mitstreitern zurück. Auch wenn die Polizei das Gesetz immer wieder ignoriert: Es gibt Grund zur Hoffnung.
Im PREDA-Zentrum haben die Kinder und Jugendlichen die Chance für einen Neuanfang. Sie bekommen dort nicht nur ein Dach über dem Kopf und zu essen. Neben Therapien und Resozialisierungsmaßnahmen, erhalten alle Kinder in den PREDA-Heimen eine Schulausbildung. Die Nachfrage ist groß.
Mehr als Hilfe für Kinder
Pater Shay Cullen gerät ins leidenschaftliche Erzählen darüber, welche Auswirkungen seine Arbeit über die direkte Hilfe für missbrauchte und misshandelte Kinder hinaus hat. Dass der Verkauf fair gehandelter Mango-Produkte etwa hilft, die Arbeit von PREDA zu finanzieren und gleichzeitig den Mango-Bauern ein stabiles, faires und verlässliche Einkommen sichert. Dass in der Erntesaison viele junge Frauen bei der Weitererarbeitung der Mangos helfen und sich damit ein College –Studium finanzieren können. Dass die Sex-Industrie in Olangopo auf ein Drittel des früheren Umfangs zurückgegangen ist.
Er erzählt aber auch, dass in anderen Städten Sex-Industrie und Sex-Tourismus stetig wachsen. Betrieben und befeuert auch von deutschen Bordellbesitzern und Touristen. Damit die brutale Ausbeutung von Kindern auf den Philippinen durch deutsche Bürger mehr Aufmerksamkeit bekommt, gibt es in Kürze eine eigene PREDA-Stiftung mit Sitz in Deutschland.
Man möchte ihm stundenlang zuhören, aber schon ist der freundliche ältere Herr, der schon zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert war, wieder auf dem Sprung. Er hat weitere Termine mit Politikern und weitere Vorträge zu halten. Am Abend etwa bei einer Diskussionsrunde im Bürgerhaus West mit dem Titel „Menschen im Sonderangebot. Menschenhandel und Prostitution in Stuttgart“ zeigt sich, dass sich unsere Landeshauptstadt und Olongapo in manchen Punkten sehr ähnlich sind: Menschenhandel ist bei uns wie auf den Philippinen ein großes Thema. Dort werden die Mädchen aus den ländlichen Gebieten in die Bordelle der Städte verschleppt, in Europa werden junge Frauen mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt, es existiert eine regelrechte Industrie zum „Einfangen“ auch vieler Minderjähriger. Man kann davon ausgehen, dass 80 Prozent der Prostituierten ausländischer Herkunft in Stuttgart Opfer des Menschenhandels sind. Pater Shay Cullen hätte auch bei uns genug zu tun. Immer im Einsatz für diejenigen, denen die Gesellschaft das Recht auf ein glückliches und erfülltes Leben verweigert.
Der Kauf der Mango-Produkte von PREDA hilft den Kindern auf den Philippinen. Sie werden von dwp vertrieben und sind im Weltladen Gablenberg erhältlich.