Ausgangslage

Zur dritten und letzten Vergabesitzung der aktion #fairwertsteuer, am 25. März 2021, lagen dem dreiköpfigen Vergabegremium 53 schriftliche Anträge von Handelspartner*innen und Produzent*innen aus 16 Ländern vor.

Dank der sehr erfreulichen Entwicklung der vergangenen Monate stand die beachtliche Summe von 225,000,– Euro zur Verfügung.

Die Summe der beantragten Zuschüsse kann nicht exakt beziffert werden, da elf Anträge ohne eine konkrete Summe mit der Begründung „Jede Hilfe ist willkommen“ (o.ä.) eingereicht wurden. Die 42 konkret bezifferten Anträge beliefen sich in Summe auf 468.662,– Euro. Wie in den beiden ersten Vergaberunden war das Antragsvolumen auf max. 15.000,Euro/Antrag gedeckelt.

Vorgehensweise

Die Höhe der zur Verfügung stehenden Mitteln erlaubten es dem Vergabegremium – mit Ausnahme eines einzelnen Antrages – alle Anträge der Produzent*innen und Organisationen zu berücksichtigen. Eine Einteilung in Kategorien und Rangfolgen, wie sie in den beiden vorausgehenden Vergaberunden erfolgte, war somit nicht notwendig. Die Produzent*innen können damit mit einer zeitnahen Überweisung der bewilligten Summen rechnen. Mit der dritten Tranche der aktion #fairwertsteuer können etwa 9.000 Produzent*innen und ihre Familien unmittelbar oder indirekt unterstützt werden.

Für den Fall weiterer Zuwendungen bis zum Abschluss der aktion #fairwertsteuer zum Monatsende (31. März 2021), wurde aus obigen Anträgen eine Liste mit zehn Organisationen erstellt, deren Zuwendungen entsprechend weiterer Eingänge um jeweils 1.000,- Euro aufgestockt werden sollen. Besonders berücksichtigt wurden hier Organisationen mit vielen Handwerker*innen und einem erhöhten Bedarf.

Zur Situation der Handwerker*innen und ihren Familien

Die in den Anträgen geschilderte Lage der Produzent*innen muss weiterhin als bedrü-   ckend und existenzbedrohend zusammengefasst werden. Lange Lockdowns mit nur wenigen Unterbrechungen haben seit Ausbruch der Pandemie zehntausende Produzent*innen und ihre Familien in bedrohliche Notlagen gestürzt. Trotz größter Anstrengungen ihrer (Vermarktungs-)Organisationen, Fairhandelsimporteure, teilweise öffentliche Hilfen (die durchweg als nicht ausreichend genannt werden oder nicht ankommen), sowie anderer Zuwendungen, konnte eine weitere Verarmung bestenfalls nur abgemildert werden. Fast durchweg wurde in den Anträgen geschildert, dass das reduzierte Einkommen aus Fairem Handel seit Monaten die einzige Einkommensquelle vieler Familien darstellt. Familienmitglieder aus anderen Arbeitsstrukturen können aufgrund von Entlassungen keinem Erwerb mehr nachgehen. Viele Familien haben längst sämtliche Ersparnisse aufgebraucht und sind inzwischen hoch verschuldet. In einigen Anträgen wird berichtet, dass Familien ihren Hausrat verkaufen, um für sich und ihre Kinder wenigstens eine Mahlzeit pro Tag finanzieren zu können. Deutlich steigende Lebenshaltungskosten verschärfen vielerorts  die angespannte Ernährungslage der Familien.

Ein Schulunterricht findet in vielen Ländern seit Monaten nicht mehr statt und selbst da, wo „homeschooling“ angeboten wird, können Kinder aufgrund fehlender digitaler Infrastruktur und ohne Zugang zu Laptops nicht daran teilnehmen. Neben entgangener Bildungschancen und den fehlenden sozialen Kontakten bedroht der Wegfall von Schulmahlzeiten die fragile Ernährungssituation der Kinder.

Neben materieller und physischer Not leiden immer mehr Menschen unter den psychischen Folgen der Pandemie mit ihrer ungewissen Dauer. In einigen Anträgen wird von verbreiteter „Zukunftsangst“ bis hin zu „Panik“ berichtet.

Zur Situation der Produzentenorganisationen

Eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten, erschwerte Bedingungen bei Transport und in der Beschaffung (mit bis zu 400% gestiegenen Rohstoffpreisen), ein höherer organisatorischer und finanzieller Aufwand für Arbeits- und Infektionsschutz sind bei gleichzeitig signifikant zurückgehenden Umsätzen und einer schlechten Auftragslage die typischen Rahmenbedingungen unter denen die meisten Organisationen der Handwerksproduzent* innen seit Monaten um ihre Existenz kämpfen.

Trotz regionaler Unterschiede befinden sich die Partnerorganisationen in einem schmerzhaften Anpassungsprozess, um ihre Arbeit irgendwie absichern zu können und ein Kollabieren sämtlicher aufgebauter Strukturen zu verhindern. Nach einem Jahr der Pandemie sind viele Produzentenorganisationen verschuldet und stehen bei regelmäßigen Zahlungen wie Miete, Kredite und Löhne „hoffnungslos“ im Rückstand. Die Liquidität (vor allem kleinerer Organisationen) ist teilweise derart eingeschränkt, dass ohne Unterstützung von außen keine neue Produktion anlaufen kann. Es fehlen beispielsweise Mittel zur Rohmittelbeschaffung.

Durch sehr kluge und aufwändige Maßnahmen gelang es an vielen Stellen 2020 zumindest einen Notbetrieb aufrecht zu erhalten und einen Teil der Mitarbeiter und Handwerker* innen mit der Fortzahlung von Teillöhnen in ihrer schweren Lage zu unterstützen. Im Vergleich zu den Angaben vom Oktober und Dezember 2020, wird uns in den aktuellen Anträgen (vom März 2021) mehrheitlich von drastischeren Entlassungen (50 %, 90% und mehr) berichtet. Dies betrifft Angestellte in der Weiterverarbeitung, Verpackung usw., mit fortwährender Dauer der Krise, zunehmend die Handwerker*innen selbst. Tausende Familien, die jahrelang über den Fairen Handel ein geregeltes Einkommen erzielten, stehen seit Monaten, manche seit Jahresfrist, ohne Einkünfte da.

Erforderliche Hygienemaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen verteuern nicht nur die Produktion, sondern haben mancherorts zur Folge, dass nur eine begrenzte Personenzahl unter Einhaltung geforderter Abstandsregelungen beschäftigt werden kann. Bei einigen Partnern mussten aus Platzmangel hunderte Angestellte entlassen werden. Trotz Schichtarbeit und Rotationsverfahren kommt es zu Produktionsverzögerungen.

Aufträge dringend benötigt

Kommerzielle Aufkäufer haben kurzfristig Abnahmen storniert und Handelsbeziehungen  ausgesetzt. Ein Keramikproduzent aus Thailand berichtet beispielsweise von einer großen Lieferung, die kurzfristig storniert wurde und nun mit dem Firmenlogo des Auftraggebers unbezahlt und unverkäuflich auf Lager liegt.

Für viele Handwerksproduzent*innen ist neben dem Fairen Absatz ihrer Produkte das lokale Tourismusgeschäft von zentraler Bedeutung. Vielerorts ist dieser Absatzmarkt komplett zusammengebrochen. Märkte, eigene Verkaufsstellen und Läden sind auf unbestimmte Zeit geschlossen, die Lager prall gefüllt.

Mit größter Anstrengung versuchen alle Organisationen neue Aufträge und damit verbundene Einkommensmöglichkeiten für die angeschlossenen Handwerkerfamilien zu generieren. In einigen Anträgen wurde um finanzielle Unterstützung für Maßnahmen gebeten, die eine Erschließung neuer Vertriebswege, vor allem im digitalen Raum, zum Ziel haben.

 

Vielfach wird die wichtige Rolle der Fairhandelsimporteure im zurückliegenden Jahr betont. Bestellungen des Fairen Handels wurden in keinem Fall storniert. Oft wurden deutlich erhöhte Vorauszahlungen und anderweitige Zuschüsse gewährt.

Ungeachtet des Verständnisses für die Lage der Fairhandelsimporteure mit gesunkenen

Vertriebszahlen in Europa, stellen die Produzent*innen nüchtern fest, dass auch im Fairen Handel weniger Neuaufträge und diese oft mit deutlich geringerem Umfang bei ihnen eingehen.

Bemessungsgrundlagen und Auswahlkriterien

Wie in den verausgehenden Vergaberunden war es erklärtes Ziel, möglichst vielen Produzent*innen eine Unterstützung zu ermöglichen. Nachfolgende Kriterien und Überlegungen spielten bei der Höhe der bewilligten Zuwendung eine besondere Rolle:

  • Absicherung der Grundversorgung mit Lebensmitteln, Hygiene- und Schutzartikeln
  • Besonders benachteiligte Produzentengruppen (Frauen und Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, Menschen ohne Zugang zu nötiger Infrastruktur,…)
  • Länderspezifische Situation (Infektionszahlen, Lebenshaltungskosten, …)
  • Überbrückungshilfen für Organisationen zu deren Absicherung
  • Zugang zu sonstigen Unterstützungen und Spendengeldern
  • Anzahl der zu erreichenden Produzent*innen
  • Investitionsvorhaben (z.B. Erschließung zusätzlicher Flächen um ehemalige

Mitarbeiter wieder einstellen zu können, Erschließung neuer Absatzwege)

  • Aussagekraft der Anträge (z.B. Benennung konkreter Maßnahmen, Berücksichtigung stichhaltiger Empfehlungen der FairhandelsiImporteure, soweit vorhanden)

Alle Entscheidungen der dritten Vergaberunde wurden erneut einstimmig und im besten Einvernehmen getroffen.

Ausblick und Dank

Im Namen der Produzent*innen und ihrer Organisationen, die mit Zuwendungen der aktion #fairwertsteuer unterstützt werden konnten, danken wir Allen, die diese viel beachtete Solidaritäts-Aktion ermöglicht und mit ihrem großartigen Einsatz die beeindruckende Gesamtsumme von mehr als 500.000,- Euro aufgebracht haben!

Der Faire Handel der Weltläden sendet für zehntausende Menschen weltweit ein starkes und beispielgebendes Signal der Solidarität und der Zusammengehörigkeit aus. Neben handfester und materieller Hilfe leisten Weltläden damit auch unschätzbare mentale Unterstützung in der fortwährenden Krisensituation.

Mit der ernüchternden Erkenntnis, dass sich die Situation der Handwerksproduzent*innen vielerorts kaum oder gar nicht gebessert hat, sehen wir es in den kommenden Monaten als vordringliche Herausforderung an, die ins Stocken geratenen Fairen Lieferketten mit neuen Aufträgen wiederzubeleben.

Aufgrund weniger Alternativen sind Handwerksproduzent*innen vielfach besonders auf stabile Verkaufszahlen in den Weltläden angewiesen. Ob und wie viele Handwerksorganisationen diese Krise überstehen werden, hängt entscheidend davon ab, wie sich entsprechende Verkäufe der Weltläden in den kommenden Monaten entwickeln. Wir schließen diesen Bericht mit einem Zitat aus einem eMail von Sanu Prajapati, Repräsentantin von CHANDRA HANDICRAFTS aus Nepal (u.a. Papeterie) an Ganesh Handel:

„Wir schätzen Eure Hilfe sehr, würden uns aber noch mehr freuen, wenn Ihr uns  Aufträge anbieten könnt, um so mit Arbeit die ganze Chandra Handicraft Familie längerfristig abzusichern“

Martin Lang                                 Barbara Riek         Renate Schiebel

Fairhandelsberatung (DEAB)       FFH Vorstand              WL-DV Vorstand